Inkscape tutorial: Kalligrafie

Inkscape

Tutorial | Kalligrafie

Eines der vielen großartigen Werkzeuge, die Inkscape zu bieten hat, ist das Kalligrafiewerkzeug. Dieses Tutorial wird Ihnen helfen, mit diesem Werkzeug vertraut zu werden, und Sie zudem in die Grundlagen der Kalligrafiekunst einführen.

Sie können Strg+Pfeiltasten, das Mausrad oder Mittelklick+Ziehen benutzen, um die Arbeitsfläche nach unten zu verschieben. Um die Grundlagen der Objekterstellung, Auswahl, und Bearbeitung zu lernen, schauen Sie sich bitte das Grundlagen-Tutorial in HilfeEinführungen an.

Geschichte und Stile

Laut Wörterbuchdefinition bedeutet Kalligrafie „Schönes Schreiben“ oder „Die ordentliche oder elegante Schreibkunst“. Kalligrafie ist also die Kunst, mit schöner Handschrift zu schreiben. Das hört sich im ersten Augenblick zwar kompliziert an, aber mit einem bisschen Übung kann jeder die Grundlagen dieser Kunst meistern.

Die früheste Form der Kalligrafie findet man in der Höhlenmalerei. Bis ca. 1440 n. Chr., bevor der Buchdruck erfunden wurde, war die Kalligrafie die einzige Methode, Bücher und Aufzeichnungen zu verfassen. Jedes einzelne Schriftstück und jede Publikation musste dabei von einem Schreiber in Handarbeit erstellt werden. Heutzutage kommt man mit der Kalligrafie jedoch am ehesten in Form motivierender kalligrafische Kunstwerke als Wandschmuck in Berührung.

Es gibt drei Hauptstile der Kalligrafie:

  • Westlich / Römisch: Die erhaltenen Texte sind hauptsächlich mit einer Feder und Tinte auf Materialien wie Pergament und Vellum geschrieben.

  • Arabisch und andere Sprachen in Arabischer Schrift, wurde hauptsächlich mit einem Rohrstift und Tinte auf Papier geschrieben (dieser Stil hat den weit größten Anteil an erhaltenen Texten vor 1440).

  • Chinesisch oder Orientalisch, mit einem Pinsel gezeichnet.

Die drei Stile haben sich bei vielen Gelegenheiten gegenseitig beeinflusst. Westliche Schreibstile über die Zeitalter waren z.B. Gothisch, Karolingisch oder Fraktur.

Ein großer Vorteil, den wir gegenüber den Schriftgelehrten der Vergangenheit haben, ist der Rückgängig-Befehl: Wenn Sie einen Fehler machen, ist nicht gleich die komplette Seite ruiniert. Außerdem bietet Inkscapes Kalligrafiewerkzeug auch erweiterte Funktionen, die mit der althergebrachten Füller-und-Tinte-Technik nicht möglich wären.

Hardware

Die besten Ergebnisse erzielt man mit einem Grafiktablett und Stift. Dank der Flexibilität unseres Werkzeugs können aber auch alle, die nur eine Maus zur Verfügung haben, ziemlich komplizierte Kalligrafien anfertigen, auch wenn es dabei Schwierigkeiten mit schnell gezogenen Strichen geben kann.

Inkscape unterstützt Drucksensitivität und Neigungssensitivität eines Grafiktablett-Stifts, wenn die Hardware diese Eigenschaften hat. Diese Funktionen sind standardmäßig deaktiviert, da sie zuerst konfiguriert werden sollten. Bedenken Sie auch, dass die Kalligrafie mit einer Feder oder einem Federstift ebenfalls nicht sehr sensitiv auf Druck reagiert, anders als ein Pinsel.

Wenn Sie ein Grafiktablett haben und die Sensitivitätseigenschaften nutzen wollen, müssen Sie Ihr Gerät vorher konfigurieren. Die Einstellungen werden nur einmal vorgenommen, danach sind sie gespeichert. Sie können die Sensitivitätsunterstützung einschalten, indem Sie vor dem Start von Inkscape das Tablet anschließen und danach den Menüpunkt Eingabegeräte... im Bearbeiten-Menü aufrufen. Über diesen Dialog können Sie Ihr gewünschtes Gerät aussuchen und Einstellungen für Ihren Stift vornehmen. Nachdem Sie die Einstellungen vorgenommen haben, wechseln Sie zum Kalligrafiewerkzeug und aktivieren in der Werkzeugeinstellungsleiste die Schaltflächen für Druck und Neigung. Von nun an merkt sich Inkscape die Einstellungen beim Start.

Inkscapes Kalligrafiestift kann auch auf die Geschwindigkeit, mit der ein Strich gezogen wird (s.u. Ausdünnung), reagieren. Wenn Sie die Maus verwenden, möchten Sie möglicherweise diesen Wert auf Null einstellen.

Einstellungen für das Kalligrafiewerkzeug

Aktivieren Sie das Kalligraphiewerkzeug durch Drücken von Strg+F6, der Taste C oder durch Klicken auf das entsprechende Icon in der Werkzeugleiste. In der Werkzeugeinstellungsleiste sehen Sie jetzt 8 Einstellungsmöglichkeiten: Breite, Ausdünnung, Masse, Winkel, Fixierung, Linienenden, Zittern und Wackeln. Es gibt auch zwei Knöpfe, die Drucksensitivität und Neigungssensitivität an- und ausschalten (für Grafiktabletts) und ein Ausklappmenü mit ein paar vordefinierten Werkzeugen, und die Option eigene Voreinstellungen zu speichern.

Breite & Ausdünnung

Dieses Optionspaar beeinflusst die Breite des Stiftes. Die Breite kann zwischen 1 und 100 variieren und wird (standardmäßig) relativ zur Größe des Fensters bemessen, egal wie stark der Zoom ist. Das ist sinnvoll, da die natürliche „Maßeinheit“ in der Kalligrafie der Bereich ist, in der die Handbewegungen ausgeführt werden. Daher hat man ein konstantes Verhältnis zwischen Breite des Federstifts und der Größe des „Zeichenbretts“ und keine realen Größeneinheiten, bei denen das Geschriebene bei bestimmten Zoomstufen nicht mehr zu sehen wäre oder ein Strich den gesamten Bildschirm füllt. Dieses Verhalten ist jedoch optional, so dass es für diejenigen umgestellt werden kann, die absolute Einheiten unabhängig vom Zoom bevorzugen. Um die Einheit zu wechseln, verwenden Sie den Einheitenwähler hinter dem Feld Einheit.

Da die Stiftbreite häufig verändert wird, kann diese ohne Umweg über die Werkzeugeinstellungsleiste mittels der Pfeiltasten nach links und rechts oder über die Druckempfindlichkeitsfunktion Ihres Grafiktabletts beeinflusst werden. Diese Tasten funktionieren praktischerweise sogar während des Zeichnens. Somit lässt sich die Breite mittendrin langsam verändern:

Die Stiftbreite kann auch abhängig von der Geschwindigkeit gemacht werden, was man mit dem Wert für Ausdünnung einstellen kann. Dieser Wert kann im Bereich von -100 bis +100 variiert werden; ein Wert von Null bedeutet, dass die Breite unabhängig von der Geschwindigkeit ist, positive Werte machen schnell gezogene Striche schmaler, negative Werte machen schnell gezogene Striche breiter. Der Vorgabewert von 10 führt zu einer mäßigen Ausdünnung schneller Striche. Hier sehen Sie ein paar Beispiele, alle mit Breite=20 und Winkel=90° gezeichnet:

Setzen Sie einmal zum Spaß die Breite und die Ausdünnung auf 1 (Maximum) und malen dann mit ruckartigen Bewegungen solche sonderbar natürlich wirkenden, nervenzellähnlichen Formen:

Winkel & Fixierung

Nach der Breite ist der Winkel der zweitwichtigste Parameter des Kalligrafiewerkzeugs. Es handelt sich dabei um den Winkel des Stiftes in Grad, der sich zwischen 0 (horizontal) und 90 (vertikal gegen Uhrzeigersinn) oder -90 (vertikal im Uhrzeigersinn) bewegen kann. Falls Sie die Neigungswinkelsensivität des Tablets eingeschaltet haben, ist der Winkelparameter „ausgegraut“ und der Winkel wird über die Neigung des Stiftes eingestellt.

Jeder traditionelle Kalligrafiestil hat seinen eigenen vorherrschenden Schriftwinkel. Zum Beispiel verwendet die Unzial-Handschrift einen Winkel von 25 Grad. Bei komplexeren Schriftstilen und bei erfahrenen Kalligrafen ändern sich oftmals der Schriftwinkel während des Schreibens. Bei Inkscape ist dies durch Drücken der Pfeiltasten hoch und runter sowie mit einem Grafiktablett, welches diese Funktionen unterstützt, möglich. Für den Anfang Ihrer kalligrafischen Übungen ist es jedoch sinnvoll, den Winkel zunächst konstant zu halten. Hier sind Beispiele von Strichen, die mit unterschiedlichen Winkeleinstellungen gezeichnet wurden (bei Fixierung = 100):

Wie man sieht, ist der Strich am schmalsten, wenn er parallel zum eingestellten Winkel verläuft und am breitesten, wenn er senkrecht dazu verläuft. Positive Winkel wirken bei der Rechtshänder-Kalligrafie am natürlichsten und sind dabei die am häufigsten verwendeten Winkel.

Die Stärke des Unterschiedes zwischen der schmalstmöglichen und der dickstmöglichen Linie wird über den Wert für Fixierung eingestellt. Ein Wert von 100 bedeutet, dass der Winkel immer konstant bleibt, so wie über den Winkelparameter eingestellt. Eine Verringerung des Fixierungswertes dreht den Stift ein wenig gegen die Strichrichtung. Mit Fixierung=0 dreht sich der Stift immer so, dass er senkrecht zum Strich steht. Die Winkeleinstellung hat somit keinen Effekt mehr:

Typographisch gesprochen ist die maximale Fixierung und daher der maximale Strichbreitenkontrast (oben links) ein Kennzeichen der antiken Serifenschriftarten, so wie bei der Times oder der Bondi (da diese Schriftarten aus einer Imitation der Kalligrafie mit fixiertem Stift hervorgegangen sind). Null Fixierung in Verbindung mit null Breitenkonstrast (oben rechts) repräsentiert auf der anderen Seite moderne serifenlose Schriftarten wie die Helvetica.

Tremor

Tremor bzw. Zittern dient dazu, Ihren Strichen ein natürlicheres Aussehen zu verleihen. Der Tremor kann in der Einstellungsleiste von 0 bis 100 geändert werden. Er kann Ihre Striche ganz leicht uneben machen oder sie in wilde Kleckse verwandeln. Dies erweitert die kreativen Möglichkeiten des Werkzeuges beträchtlich.

Wackeln & Masse

Anders als bei Breite und Winkel definieren diese Einstellungen eher, wie sich das Werkzeug „anfühlt“, als dass sie einen visuellen Effekt bewirken. Deshalb wird es in diesem Abschnitt keine Illustrationen geben, stattdessen versuchen Sie es am besten einmal selbst, um einen besseren Eindruck zu bekommen.

Wackeln entspricht der Widerstandskraft des Papiers gegen die Bewegung des Stiftes dar. Die Vorgabe ist das Minimum (0) und bei Erhöhung dieses Wertes wird das Papier „rutschiger“: wenn die Masse groß ist, dann neigt der Stift dazu, bei scharfen Kurven auszubrechen; ist die Masse Null, dann bewirkt ein hoher Wert ein starkes Zittern des Stiftes.

In der Physik verursacht Masse Trägheit; je höher die Masse des Kalligrafiewerkzeugs eingestellt wird, desto mehr verzögert sich der Mauszeiger und es glätten sich scharfe Wendungen und schnelle Zerrungen im Strich. Die Vorgabe des Wertes ist relativ klein (2), sodass das Werkzeug schnell anspricht, aber Sie können die Masse erhöhen, um einen langsamer reagierenden und weicheren Stift zu bekommen.

Kalligrafiebeispiele

Nun, da Sie die grundlegenden Fähigkeiten dieses Werkzeugs kennen gelernt haben, können Sie versuchen, richtige Kalligrafie anzuwenden. Wenn Sie ein Neuling der Kalligrafiekunst sind, dann besorgen Sie sich ein gutes Kalligrafiebuch und versuchen Sie Ihre Erkenntnisse mit Inkscape umzusetzen. Dieser Abschnitt wird Ihnen ein paar einfache Beispiele aufzeigen.

Zu allererst, wenn Sie Buchstaben erstellen wollen, brauchen Sie ein Hilfslinien-Paar. Wenn Sie geneigt oder kursiv schreiben wollen, so fügen Sie ein paar geneigte Linien hinzu, die das Hilfslinien-Paar kreuzen, zum Beispiel:

Nun zoomen Sie soweit hinein, bis die Höhe zwischen den Hilfslinien den natürlichen Bereich ihrer Handbewegungen erreichen, dann passen Sie Breite und Winkel an und los geht's!

Als Kalligrafieanfänger möchten Sie möglicherweise als erstes die Basiselemente der Buchstaben üben — vertikale und horizontale Stämme, runde Striche, geneigte Stämme. Hier sind einige Buchstabenelemente der für die Unzialschrift:

Verschiedene hilfreiche Tipps:

  • Wenn Ihre Hand komfortabel auf dem Tablet ruht, dann bewegen Sie sie nicht. Scrollen Sie nach dem Erstellen einzelner Buchstaben stattdessen das Dokumentenfenster (Strg+Pfeiltasten) mit Ihrer linken Hand.

  • Wenn Ihr letzter Strich nicht gelungen ist, machen Sie ihn einfach rückgängig (Strg+Z). Wenn eine Form gelungen, aber die Position oder Größe ein wenig verrutscht ist, dann ist es besser, kurz zum Auswahlwerkzeug zu wechseln (Leertaste) und die Form nachträglich über bewegen/skalieren/rotieren zu korrigieren (mit der Maus oder Tastatur). Anschließend wieder die Leertaste drücken, um zum Kalligrafiewerkzeug zurückzukehren.

  • Wenn Sie ein Wort erstellt haben, wechseln Sie erneut zum Auswahlwerkzeug, um die Hauptlinie gleichmäßiger zu machen und den Abstand anzupassen. Übertreiben Sie es aber nicht, denn gute Kalligrafie sollte immer noch nach Handschrift aussehen. Geraten Sie nicht in Versuchung, einzelne Schriftelemente immer wieder zu kopieren; jeder Strich sollte ein Original sein.

Hier finden Sie einige komplette Schriftzugbeispiele:

Fazit

Kalligrafie macht nicht nur Spaß; es ist eine tiefe, fast spirituelle Kunst, die Ihren Blick für alles, was Sie tun und sehen verändern kann. Inkscapes Kalligrafiewerkzeug kann nur als bescheidene Einleitung dienen. Es macht aber dennoch Spaß, damit herumzuspielen, und es kann sogar nützlich für wirkliches Design sein. Viel Spaß!

Authors: Bulia Byak; Jonathan Leighton; Josh Andler; Colin Marquardt; Kris De Gussem; Nicolas Dufour; Guillaume Audirac; Gellért Gyuris; e-sonego; Maren Hachmann

Translators: Stefan Graubner — 2005; Colin Marquardt — 2006; Maren Hachmann — 2015

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